Annettes Nachruf erschienen im Berliner Tagesspiegel http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/annette-weiske/732770.htmlhttp://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/annette-weiske/732770.htmlshapeimage_1_link_0
Annette Weiske
(Geb. 1970) Sie verstand Frauen nicht, die Angst vorm Alter haben.
 
Sie verstand Frauen nicht, die Angst vorm Alter haben.
Der schönste Tag ihres Lebens: der Hochzeitstag.
 
Drei Mal hatte Thomas um ihre Hand angehalten, mal eher beiläufig zwischen Tür und Angel, mal sehr romantisch im Restaurant. Vergeblich. Den vierten Antrag hat sie selbst gemacht, einige Jahre später, am Küchentisch: „Dann werd’ ich mich mal drum kümmern.“ – „Um was?“, fragte Thomas erstaunt zurück. – „Na, um unsere Hochzeit.“
 
Das war im Winter 2004. Und von da an plante sie alles minutiös. Sie war ihrem Sternzeichen Krebs in vielem treu. Zwei Schritte vor, einen zurück. Hindernisse auch gern mal seitlich angehen. Das war schon immer so gewesen. Sie war ein Familienmensch, Nesthäkchen, Mutterkind im Guten wie im Schlechten. Mit ihrer Mutter zog sie damals auch fort von Berlin, in die hessische Verbannung.
 
Annette hatte ein künstlerisches Talent, aber wenig Zutrauen zu sich selbst. Also malte und zeichnete sie nur zu ihrem Vergnügen, und begann stattdessen eine Tischlerlehre. Ihr Gesellenstück: eine Staffelei. Aber so künstlerisch geht es im Tischlerhandwerk nicht immer zu. Sie schulte später um zur Ergotherapeutin.
 
Sie war in allem sehr entschieden, aber auf bedächtige Weise, auch in der Liebe. Fünf Jahre hatte sie Thomas aus den Augen verloren. Keine Liebe auf den ersten Blick. Als sie dann nach Berlin zurückkam, tat sie sich nach einigem Zögern doch mit ihm zusammen: Sie begann in seiner Werkstatt zu arbeiten. Da hatte es noch immer nicht gefunkt. Das dauerte ein weiteres Jahr. Silvester war es, als sie so lachen musste, beim Pantomimespiel, wo er mit Händen und Füßen den Spruch darstellen sollte „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.“ Solche Spiele liebte sie. Von da an waren sie ein Paar.
 
Beide sind das ganz ruhig angegangen. Streit gab es selten, Kleinigkeiten halt, zuweilen war Thomas genervt, dass sie solche Mühe hatte, sich Namen zu merken, oder Fremdworte.
 
Die Ostsee hat sie geliebt, den Darß, im Schnee am Strand spazieren, im Sommer Hühnergötter sammeln. Um den Schlachtensee ging sie gern, zwei Mal rund herum. Die Radausflüge ins Storchendorf, die Kranichzüge im Herbst, der eigene Garten, auf dem Scharmützelsee segeln. Das Wasser war ihr Element.
 
Im Sommer 2005 fand die Hochzeit statt, auf einem Ausflugsdampfer. Sie wurden an Bord getraut. Auf allen Bildern: eine unglaublich fröhliche junge Frau im blauen Seidenkleid, mit hellem Sommerhut. Es wurde getanzt bis spät in den Abend. Die beiden konnten die Schritte eigentlich gar nicht. Doch das hat keiner gemerkt. Den Tanzkurs haben sie erst hinterher gemacht.
 
Aber so beschwingt tanzte sie nie wieder. Annette Weiske hatte einen Gehirntumor. Sie war kaum dreißig, da wurde sie zum ersten Mal operiert. Die Lebenserwartung, so sagten die Ärzte, betrüge im günstigsten Fall fünfzehn Jahre, wahrscheinlicher allerdings seien sechs bis acht Jahre.
 
Sie hoffte so sehr auf die fünfzehn Jahre. Sie verstand Frauen nicht, die Angst vor dem Alter haben. Sie wäre gern alt geworden.
 
Dafür tat sie alles. Sie stellte ihre Ernährung um. Verdrängte den Kinderwunsch. Sammelte alle Energie für sich, fürs Überleben. Nach der zweiten Operation im Herbst 2004 erholte sie sich gut. Alle fassten Zuversicht. Dass sie ein Jahr später ihre Bahncard kündigte, verriet sie Thomas nicht.
 
Im Mai musste sie in die Klinik gebracht werden. Thomas entführte sie von dort noch mal: Zwei Tage verbrachten sie in Schwerin, am See, zwei Stunden segeln, auf dem Jollenkreuzer übernachten.
 
Dann wieder Klinik, sie wurde zum Kind, musste an der Hand gehalten werden. Die Worte gingen ihr aus, aber ihr Wesen blieb unverändert. Bis zum Ende machte sie Schreibübungen mit Thomas, übte Gehen mit ihrer Schwester, wollte gesund werden.
 
An der Wand ihres Krankenzimmers hing ein Besucherplan. So konnten sich die Geschwister und die Freunde je einzeln und ungestört von ihr verabschieden. Ein Tag war mit einem großen Herz versehen. Diesen Tag wollte sie unbedingt noch erleben. Den 17. Juni. Ihren ersten Hochzeitstag. Das hat sie geschafft. Gregor Eisenhauer